Saul Leiter Zur Übersicht

Retrospektive

Bilder

Harlem, 1960
Mondrian Worker, 1957
Snow, 1960
Taxi, 1957
Walk with Soames, 1958

Saul Leiter wurde 1923 in Pittsburgh geboren und zog 1946, mit 23 Jahren, nach New York, wo er seine Karriere als Künstler begann. Stilprägend und avantgardistisch sind seine Arbeiten im Bereich der Street Photography. Er lebte bis zu seinem Tod im Jahr 2013 in der Stadt. Saul Leiter trifft in New York ein, als die Stadt eine besonders prägende Zeit erlebt. Diese hat ihn maßgeblich beeinflusst und er wiederum rückwirkend die Kunst jener Jahre.

 

In New York begann sich in den späten 1940er Jahren die Moderne zu etablieren. Von hier strahlte sie aus und wurde in den Folgejahren zum Leitbild für die Kultur der westlichen Hemisphäre. In der Malerei manifestierte sich die Moderne im sogenannten Abstrakten Expressionismus. Diese Stilrichtung war die erste genuin amerikanische Stilrichtung und brach fundamental mit den bis dahin vorherrschenden Paradigmen von (Bild-)Raum, Farbe und Sujet. Diese Ideen wurden zuvor bereits in Europa und Russland entwickelt. Viele europäische Künstler der Avantgarde emigrierten durch den 2. Weltkrieg jedoch in die USA und trugen das Gedankengut der Moderne in die Neue Welt. Auf Grundlage dieses Transfers war der Nährboden für ihre Entwicklung gelegt und New York entwickelte sich zu einem der bedeutendsten künstlerischen Zentren der Welt. In diesem Kontext muss die Kunst von Saul Leiter betrachtet werden. Die Energie der aufsteigenden Kunstmetropole lässt sich auch in seinen Fotografien und in seiner Malerei ablesen. Er war in den Kreisen der Anhänger des Abstrakten Expressionismus unterwegs und kann mit Fug und Recht als ein Grenzgänger zwischen den Genres bezeichnet werden.

 

Der hier vorliegende Katalog aus dem Kehrer Verlag geht auf all diese Aspekte ein. Er erschien anlässlich der Retrospektive zum Werk Saul Leiters in den Hamburger Deichtorhallen im Jahr 2012, ein Jahr vor seinem Tod. Obwohl er in den 1950er Jahren prägend für die New Yorker Fotografieszene war und als eines ihrer Aushängeschilder galt, geriet er in der Folge für eine einige Zeit in Vergessenheit. Erst kurz vor seinem Tod wurde er quasi wiederentdeckt. Die Ausstellung in den Deichtorhallen war Leiters erste in Deutschland.

 

Der Katalog lenkt die Aufmerksamkeit auf drei wichtige, miteinander in Beziehung stehende Tätigkeitsfelder und Interessen Leiters. Zum Einen werden Leiters frühe Schwarz/Weiß-Fotografien aus den späten 1940er und frühen -50er Jahren thematisiert. Sie zeigen bereist wesentliche Merkmale seiner Fotografie der späteren Jahre. Ungünstige Lichtverhältnisse lassen teilweise abstrakt anmutende Szenerien entstehen. Indirekte Perspektiven und Spiegelungen legen einen künstlerischen Filter auf die Realität. Ungewöhnliche anmutende Bildkompositionen nehmen den Bildern die Mitte und tendieren damit zu einem All Over Prinzip, wie es auch in der Malerei des Abstrakten Expressionismus vorzufinden ist. Leiter entwickelt damit bereits in der Frühphase seines Schaffens seinen typischen Stil. Anders als die meisten Fotografen jener Zeit steht bei ihm in der Regel kein konkretes Objekt oder Subjekt im Mittelpunkt des Interesses. Er bedient sich dieser lediglich um eine Oberfläche, das Bild, zu gestalten und eine ästhetische Wirkung, eine besondere Seherfahrung zu erzielen. Dadurch entstehen abstrakt malerisch anmutende Fotografien.

 

Farbe spielt im Werk Saul Leiters eine hervorgehobene Rolle. Der Katalog setzt hier einen weiteren Schwerpunkt. Leiter wird oft als ein Meister der Farbe bezeichnet. In der Tat zeichnen sich seine Fotografien häufig durch prägnante oder diffuse Lichtverhältnisse aus, die er sehr bewusst ausgewählt zu haben scheint. Diese Lichtverhältnisse betonen seine künstlerische Intention, indem sie die Bildfläche einebnen, aber auch spezifische Stimmungen evozieren. Die bis heute unnachahmliche Farbcharakteristik der Kodak-Filme jener Zeit steigert die Intensität des Gesehenen zusätzlich. Die Farbe ist dabei ein zusätzliches Ausdrucksmittel, mit dem Saul Leiter es versteht, die Formsprache seiner Schwarz/Weiß-Fotografie zu erweitern und seinen Stil zusätzlich zu bereichern.

 

Leiter arbeitete zum Broterwerb in den 1950er und -60er Jahren für verschiedene Magazine als Fotograf. Der Katalog beleuchtet diesen Aspekt eingehend. Für Harpers Bazar entstanden zahlreiche Serien im Bereich der Modefotografie, die ihn, neben dem Verdienst, einem größeren Publikum bekannt machten. Leiter bringt seinen Stil, den er für seine Arbeiten im Bereich der Street Photography entwickelt hatte in diesen kommerziellen Kontext ein und erweitert damit das stilistische Spektrum der damals vorherrschenden Modefotografie.

 

Neben der Fotografie legt der Katalog ein Augenmerk auf Leiters Malerei, die stark vom Gedankengut der europäischen Moderne vor dem 2. Weltkrieg geprägt ist. Sie ist in den 1960er Jahren teilweise figurativ porträtierend, zuweilen aber auch vollständig in der Flächigkeit und Gestik der amerikanischen Moderne aufgehend abstrakt. Die Nähe und der Einfluss des Abstrakten Expressionismus sind spürbar. Diese Bilder stehen eindeutig in Bezug zu seinen Fotografien jener Jahre, die ebenfalls zwischen dem Abbild einer wahrzunehmenden Realität und der völligen Abstraktion changieren.

 

Die Arbeit von Saul Leiter ist stilistisch einmalig und zeugt von den besonderen Fähigkeiten und Talenten des Künstlers. Diese Merkmale können für heutige Fotografen im Bereich der Street Photography vorbildhaft wirken und erweitern den Horizont eines jeden Fotografieinteressierten. Leiters Fähigkeit zu sehen, sich an völlig unscheinbar und unspektakulär wirkenden Szenerien abzuarbeiten, zeugen von einer großen Sensibilität für das Alltägliche. Und darum geht es bei der Street Photography schließlich. Er versteht es dabei das Unscheinbare und Flüchtige durch seinen Blick ästhetisch aufzuladen und ihm eine unwirklich wirkende Präsenz zu verleihen. Dazu bedient er sich einfacher Mittel. Anstatt Szenen oder Personen fotografisch direkt zu adressieren, wendet er sich von ihnen ab und zeichnet ihre Spuren durch Reflektionen oder Durchblicke auf. Er ist eine Art Voyeur der Straße. Er beobachtet und versteckt sich, scheinbar wird er niemals von seinen Sujets wahrgenommen. Und doch wirkt er ihnen sehr nahe. Diese Art zu sehen wird durch sein Talent in der Bildkomposition ergänzt. Hier wirken die Einflüsse der abstrakten Malerei mit ihrer Farbig- und Flächigkeit und ihrer egalitären Bildkomposition in die Fotografie hinein.

Alle Bilder Kehrer Verlag mit Genehmigung der Saul Leiter Foundation
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